Grenzerfahrungen

Lange ist nichts passiert, was ich erwähnenswürdig fand. Ja, der Mensch stumpft ab gegenüber seiner Umwelt. Dinge welche mir vor drei Jahren noch einen Artikel hier wert waren, sind zur Normalität geworden. Die Absurditäten nerven nur noch. Dies galt bis vor ein paar Tagen, als ich jemandem-einen-Freundschaftsdienst-erweisen-wollend ein Auto mit österreichischem Kennzeichen von Mendoza in Argentinien nach Chile bringen wollte.

Der Bekannte des Kumpels eines Freundes hatte in Mendoza zwei Toyota Landcruiser nach einer Wüstentour durch Argentinien, Bolivien und Chile untergestellt. Die Autos haben deutsche bzw. österreichische Kennzeichen und dürfen sich nach argentinischen Zollgesetzen nicht länger als 9 Monate im Land aufhalten. Kurz gesagt die Zeit war ran und eine der Karren musste dringend für zwei, drei Tage nach Chile gebracht werden, damit sich die 9 Monate wundersam erneuern.

Den technischen Teil will ich kurz halten: Ja, das Auto sprang nicht an. Nein, auch puente (Starthilfe) geben half nicht. Ja, das Auto hatte sogar zwei Batterien welche einen riesigen LKW-Motor zum drehen bringen müssen. Ja, die Batterien waren komplett leer, ließen sich nicht laden und man konnte sie wegwerfen. Nein, das hab ich nicht getan. Ja, eine unsichtbare Hand litt mich am Sonntag in einen Laden, wo es eine passende Batterie gab. Ja, danach sprang das Auto an und fuhr. Die 150 km bis zur Grenze passierte nicht viel, außer das mich mit dem österreichischen Nummernschild alle für einen Außerirdischen hielten. Immerhin stammte der kleine Verführer mit der Zahnbürste unter der Nase (oder war es eine schwarz eingewichste Schuhbürste?) aus besagtem Land und normalerweise will man damit nüscht zu tun haben. Der 24-Zylinder Schiffsdiesel war gewissermaßen ein richtiger Toyota Landhitler und hatte ein gewisses Verführungspotential.

Ich kam also nach ein paar Stunden Fahrt an der Grenzstation "Los Libertadores" in 3.125 m Höhe an und es begann der Wildwechsel. Der ganze Proceß ist streng unterteilt: Zunächst Ausreise Mensch aus Argentinien (1), dann Einreise Mensch nach Chile (2), danach Ausreise Auto aus Argentinien (3) und darauffolgend die Einreise desselben nach Chile (4). Dies ist zumindest der theoretische Ablauf, es sollte jedoch zu einer Romanvorlage für Kafka werden.

Während die Schritte eins und zwei mir als Bürger der Unionischen Europäe keine Probleme bereiteten, sah es mit meinem mechanischem österreichischen Begleiter (welcher ja auch zur EU gehört) schlecht aus im Spechthaus. Schon an Station Nummer 3 rümpfte der argentinische Zöllner die Nase, wo ich mit dem Auto ins Land eingereist wäre und warum nicht der Besitzer (der Bekannte des Kumpels eines Freundes) an meiner Stelle vor seinem Guckloch stehen würde. "Nun" sagte ich, "folgender Sachverhalt:" und erklärte ihm, dass dies ein geborgtes Auto ist und ich auch die Vollmacht des Besitzers habe. Umgehend verlangte er diese und - ja was dachten Sie denn - akzeptierte sie murrend. Entwertungsstempel auf das Zollformular gedrückt und raus war die Kiste aus Argentinien. Ich ging nichts Böses ahnend zum nächsten Schalter (Nr. 4) - aber weit gefehlt: die Fragerei ging von neuem los. Wie das Auto nach Argentinien käme (Schiff), wieso dann eine Einreise von Bolivien nach Argentinien registriert wäre ("Weil die damals eben dort damit crossen waren."), wieso nicht der Besitzer da ist (15.000 km entfernt) und einiges mehr. Ich zeigte wiederum die Vollmacht, welche dem jetzt chilenisch Uniformierten aber Spanisch vorkam, obwohl er dies die ganze Zeit mit mir sprach. Er überlegte hin und her, beriet sich mit seinen Kollegen, telefonierte die Hierarchien rauf und runter und war im Großen und Ganzen ratlos, was er mit einem österreichischen Landcruiser und deutschen Fahrer jetzt anfangen solle. Seine Freundlichkeit war dabei die eines innerdeutschen DDR-Grenzschützers.

Eine Ewigkeit später, als ich bereits fast an einer Embolie wegen der dünnen Luft gestorben wäre, kam ein Vorgesetzer und entschied salomonisch, dass ich persönlich schon, nicht aber das Auto nach Chile einreisen dürfe. Ich sagte ihm, dass das ziemlich unfair wäre, denn erstens fährt kein Bus und zweitens sei bereits Nacht, der Weg zum Ziel noch weit und ohne fahrbaren Untersatz nicht zu bewältigen. Keine Diskussion. Wenn ich mit dem Kfz weiter wölte, müsste ich entweder den Besitzer herbringen oder selbst auf die chilenische Botschaft nach Schland fliegen, um die Vollmacht vor einem chilensichen Staatsbeamten zu beglaubigen oder Drittens könne ich auch wieder umkehren. Bei den genannten Möglichkeiten erschien mir letztere am realistischsten und so kehrte ich also um.

Die Rechnung hatte ich ohne den argentinischen Zoll gemacht. Schalter Nr.8: "Wie können Sie eigentlich versuchen nach Argentinien einzureisen ohne chilenischen Ausreisestempel?" "Aber Herr Beamter - die haben mich ja zurückgeschickt." "Nix da. Ohne Ausreisestempel sind Sie von nirgends gekommen und das ist nach den Gesetzen der Physik unmöglich. Gehen Sie also wieder nach Chile rüber, wir können Sie nicht nach Argentinien reinlassen." Ich und das Auto waren also im Niemandsland angekommen.

Ich begann den Beamten mit Beharrlichkeit zu terrorisieren. Die Zeit war aber bereits noch weiter vorangeschritten und die Wahrscheinlichkeit einen Vorgesetzten an die Grenze zu bekommen ging gegen Null. Aber steter Tropfen hölt die Leber und nach ein paar Stunden nörgeln, drohen, bitten, Hungerstreik, den-Motor-laufen-lassen und ständiger Präsenz meinerseits, bequemte sich dann doch ein Höhergestellter an die Grenzstation. Junge Junge hatte der Mann eine Laune, weil man ihn früh um 3 aus dem Bett geholt hat. Ich stand ihm allerdings in nichts nach, weil ich bis zum genannten Zeitpunkt noch nicht in selbigem gewesen bin. Jedenfalls wollte er mir zunächste eine aus der Luft gegriffene Strafe aufbrummen (Fahrzeugführung ohne zollbeglaubigte Erlaubnis des Besitzers). Ich machte ihm klar, dass der Zweck seines und meines Hierseins weniger mit Fahrzeugführung ("Sie haben mich ja gar nicht am Steuer gesehen!") als vielmehr mit nicht fahren dürfen zu tun habe und das er vom Thema ablenke und wir mit seiner Unterschrift beide bereits wieder auf dem Weg ins Bett sein könnten. Er stritt weiter. Haben eben keine Objektivität die Jungs. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich sagte ihm, dass ich langsam an dem Punkt anlange, wo ich die Kiste mit einem Stück Zucker im Tank und platten Reifen einfach hinter seiner Zollbude stehen lasse und als gestohlen melde (mit anonymen Sichtungshinweis mit ihm am Steuer an die österreichische Botschaft und die Polizei). Naja, das wollte er dann auch nicht verantworten und hat irgendwie wundersamer Weise und nach vielen Telefonaten mit der anderen Grenzstation das alte Ausreisepapier rangefaxt bekommen und die Negation negiert, so dass das Auto wundersamerweise nie aus Argentinien ausgereist ist. Früh um sonstwann stand dann das Kfz wieder an seinem Platz auf der Bodega in Mendoza, eingefahren und mit neuer Baterie. Als wäre nie etwas geschehen. Warum nicht gleich so?

 

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